Die Nikolauskapelle um 1900
Über die Bauzeit der St.-Nikolaus-Kapelle gibt es keine konkreten Hinweise. In "Denkmäler in Bayern" wird die Kapelle als "anspruchsloser Bau des 18. Jahrhunderts, vielleicht mit Verwendung älteren Mauerwerks"(1) bezeichnet, dafür aber keine Quellen oder Belege angegeben. Eine Erbauung erst im 18. Jahrhundert ist allerdings unwahrscheinlich. Aus dieser Zeit sind keine Belege über einen Kirchenbau erhalten, außerdem wurde die St.-Nikolaus-Kapelle bereits anfangs des 16. Jahrhunderts erwähnt. Dazu kommt, daß der Dachreiter, der noch heute die Glöckchen der Kapelle beherbergt, nachweislich bereits aus dem Jahre 1683 stammt. Pfarrer Amrhein war wegen der Einfachheit in der Bauweise, die jegliches charakteristische Stilmerkmal vermissen läßt, der Meinung, "daß sie schon vor der romanischen Bauzeit erbaut wurde, da das Dorf Eßfeld ja schon im Jahre 820 bestanden hat"(2). Dies trifft für die Kapelle als Ganzes sicher nicht zu, sie war sicher ursprünglich kleiner. So wurde die Sakristei wahrscheinlich erst später angebaut, worauf u. a. Scherben hinweisen, die bei Renovierungsarbeiten gefunden wurden. Auch der Chor scheint erst im Zuge einer Erweiterung angebaut worden zu sein. Der Literaturwissenschaftler Gustav Roethe, der 1887 in Eßfeld nach Hinweisen auf den Minnesänger Reinmar von Zweter suchte, schrieb, daß die Kapelle und ihre Umgebung "durch starkes Umbauen völlig verändert"(3) ist.
Relativ sicher ist, daß die erste Kirche von Eßfeld an dieser Stelle stand. Dr. Kurt Schmitt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Eßfeld lebte, vertrat sogar die Meinung, daß sie an Stelle einer heidnischen Kultstätte errichtet wurde, was von den frühchristlichen Missionaren häufig praktiziert worden ist. Auf dem "Clesberg" (Nikolausberg, heute Kapellenberg), wie die Anhöhe, auf der die Kapelle und die umliegenden Höfe steht, in einer Urkunde von 1511 genannt wird, stand die Keimzelle der Ortschaft Eßfeld. Südlich der Kapelle stand das Herrenhaus, die "Burg".
Die örtliche Lage der Kapelle weist darauf hin, daß sie ein Bestandteil des ehemaligen Burghofes war. Auf der Südseite der Kapelle befand sich auch ursprünglich der Eingang, die darüber befindliche Öffnung könnte vielleicht ein Aufgang zur Empore gewesen sein, auf der die adligen Burgbesitzer saßen. Diese Öffnungen sind heute zugemauert, man findet auch keinerlei Steinmetzzeichen der romanischen und gotischen Bauzeit daran. Auf dem alten Foto sieht man die Kapelle noch unverputzt. Man kann neben dem zweiten Fenster noch undeutlich den zugemauerten Eingang und die darüber befindliche Öffnung erkennen. Die Tür, die in den Chor führte, wurde 1741 durchgebrochen, 1952 wieder zugemauert.
Für ein hohes Alter der Kapelle scheint laut Pfarrer Amrhein auch zu sprechen, daß "der Chorbogen früher nicht die jetzige Höhe hatte, sondern um sechsmal niedriger war, wie Pfarrer Kirsten in einem Bericht vom 7. April 1783 angibt"(4). Diese Aussage läßt sich allerdings bei einer heutigen Chorbogenhöhe von ca. 3,50 Metern nicht nachvollziehen.
Den ersten konkreten Hinweis auf die St.-Nikolaus-Kapelle erhalten wir aus einem Register aus dem Jahre 1511. Dort wird als Ortsbezeichnung für zwei Huben von Ortseinwohnern "gelegen bei sand Clas Kirchen" (Clas = Nikolaus), angegeben. Außerdem werden die Flurnamen "Clesberg" und "Clesrain" von der Nikolauskapelle abgeleitet.
Chorbogen und Altar
Im Jahre 1679 wurden 25 Gulden für die Anschaffung von Glocken gestiftet. Nachdem noch mehr Spenden eingegangen waren, wurde 1683 ein Dachreiter aufgesetzt und schließlich 1686 zwei kleine Glocken angeschafft. Die erste Glocke trug die Umschrift "Fusa Herbipoli 1686", sie hatte einen Durchmesser von 0,57 Meter. Die andere hatte die gleiche Umschrift und einen Durchmesser von 0,41 Meter. Von diesen beiden Glocken ist noch eine erhalten, die andere wurde im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Es hängen heute dennoch zwei Glocken im Türmchen der Kapelle. Die zweite Glocke stammt aus der Pfarrkirche und gehörte zu dem im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzenen Geläut. Sie wurde nach Anschaffung der neuen Glocken 1950 hierher gebracht. Die kleine Glocke der Nikolauskapelle hätte beinahe das gleiche Schicksal wie ihre Schwester erlitten, die mit drei der vier Glocken der Pfarrkirche abgeliefert werden mußte und eingeschmolzen wurde. Nachdem die Glocken abgeliefert worden waren, brachte man die verbleibende Glocke der Nikolauskapelle in den Turm der Pfarrkirche, um zusammenläuten zu können. Dies wurde verraten und so mußte die Glocke ebenfalls abgeliefert werden. Nach dem Krieg wurde sie in Hamburg gefunden und zurückgebracht.
Die Kapelle wurde auch nach der Erbauung der Pfarrkirche in baulichem Stand erhalten, wenn auch nur noch selten Gottesdienste, hauptsächlich Privatandachten der Anwohner, abgehalten wurden. Heute findet an den Bittagen mittwochs Gottesdienst in der Kapelle statt. Vor dem Krieg wurde darin auch am Nikolaustag Gottesdienst gehalten. Außerdem werden am Palmsonntag die Palmen an der Kapelle geweiht, bevor die Gläubigen zur Kirche wallen.
An der Stelle des seit 1706 vorhandenen Altars wurde 1765 ein neuer angeschafft. Dieser hatte drei Holzstatuen, den hl. Nikolaus, den hl. Joseph und den hl. Wendelin. Gegen 1880 wurde ein neugotischer Altar errichtet, mit einer Statue des hl. Nikolaus. Die drei Statuen des vorherigen Altars wurden an Eßfelder Privatfamilien verkauft. Eine Muttergottesstatue und ein hl. Joseph aus dem Jahre 1785 sind noch vorhanden.
Als 1879 eine neue Orgel für die Pfarrkirche angeschafft wurde, kam die alte auf die damals noch vorhandene Empore der Kapelle.
Stationsbilder in der Nikolauskapelle
Die Orgel wurde durch die Dorfjugend, die darauf Orgelspielen übte, völlig ruiniert und da sie fast die ganze Empore einnahm, einige Jahre später wieder entfernt.
Die Stationsbilder, die die Wände zieren, stammen noch aus der alten Pfarrkirche. Sie wurden, nachdem ein neuer Kreuzweg gestiftet war, im Jahre 1908 in der Kapelle aufgehängt.
1952 wurde die Kapelle innen und außen neu verputzt und getüncht, das Dach vom Langhaus repariert, außerdem der Turmkranz und -kugel überholt.
Innen wurde der neugotische Hochaltar entfernt, das Nikolausbild an der Wand restauriert und als Hochaltarbild benützt. Schließlich die Bänke zurückgestellt.
Die Nikolauskapelle
Am 20. Mai 1889 beschloß die Gemeindeverwaltung, eine Stützmauer um die Anhöhe, auf der die Kapelle gebaut ist, zu errichten. Maurermeister Johann Graf wurde mit dieser Aufgabe für 314 M 50 Pf beauftragt1. Beim Ausheben der Fundamente für die Mauer wurden zahlreiche Knochen und Totenschädel gefunden, was auf einen ehemaligen Friedhof der ersten Dorfeinwohner schließen läßt. Die Dorfjugend machte sich einen Spaß mit den Schädeln und reihte sie auf der neuerrichteten Mauer auf. Diese Mauer kann man auf dem weiter vorne abgebildeten alten Foto gut erkennen. Durch das Errichten der Mauer wurde der Weg, der an der Kapelle vorbei auf den Berg führt, verbreitert. Der direkte Weg war vor der Befestigung der Straße für Fuhrwerke zu steil. Diese benutzten früher den Weg um die Kapelle herum.
1952 wurde diese Mauer erneuert und erhöht, so wie sie sich heute darstellt. Auch bei diesen Arbeiten wurden Knochen gefunden. Außerdem wurde der Platz um die Kapelle neu angelegt und mit Zwergkiefern bepflanzt. Im Zuge der Dorferneuerung wurden in den 80er Jahren diese Nadelbäume wieder entfernt und die Außenanlagen in der heutigen Form gestaltet.
Neben dem heutigen Eingang der Nikolauskapelle steht ein Gedenkstein für Reinmar von Zweter, seine Inschrift lautet:
Sich, mensche, vür dich, wer du bist,
war uz du sist worden
und wer du wirst in kurzer vrist!
din leben wert unlange
wider dem leben, das nimmer ende hat.
Dieser, vom derzeitigen Pfarrer Deppisch aufgestellte Gedenkstein, soll an den Minnesänger Reinmar von Zweter erinnern. Pfarrer Amrhein(5) nahm zwar an, es handele sich um Reinmar den Älteren von Hagenau, den Lehrer von Walther von der Vogelweide, Literaturwissenachaftler(6) sind aber der Meinung, es handelte sich um Reinmar den Jüngeren, einen Schüler Walthers.
Gedenkstein für Reinmar von Zweter an
der Nikolauskapelle
Zweter (oder Zwetter) soll der Ort Zeutern, nördlich von Bruchsal sein.
Im Würzburger "Hausbuch des Michael de Leone", auch "Würzburger Liederhandschrift" genannt, aus dem 14. Jahrhundert, ist in einem dreistrophigen Loblied des Lupold Hornburg (der lange Lupold) auf die Minnesänger Reinmars Begräbnisort "Esfeldt in Franken" genannt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß damit unser Heimatort gemeint ist. Wie Reinmar nach Eßfeld kam ist unbekannt.
Bekannt wurde Reinmar von Zweter als einer der Teilnehmer des Sängerwettstreits auf der Wartburg.
Um 1220 kam der Minnesänger als 20jähriger nach Wien. Hier lernte er Walther von der Vogelweide kennen und wurde sein Schüler. Aus dem Jahre 1227 ist sein erstes Gedicht überliefert. Von 1234 bis 1240 hielt er sich in Prag am Hofe des Königs Wenzel I. auf. Weil er dort wegen seiner oft kritischen Lieder Anfeindungen ausgesetzt war, ging er weiter auf Wanderschaft. 1241 hält er sich in Köln und Mainz auf sowie an weiteren Höfen des rheinischen Adels.
Etwa 200 politische und zeitkritische Gedichte, aber auch schöne Marienlieder, die er bis 1248 schrieb, sind überliefert. In einer Vielzahl von Themen wandte er sich Minne- und Ehefragen zu. Er scheute sich auch nicht, das allmächtige Rom anzuklagen: "Römische Netze fangen Gold, Silber, Bürger und Land, und alles ohne Sündenband"(7).
Wahrscheinlich war er unglücklich verheiratet, er klagte, daß ihm "eine beschert" sei, die ihm "aller Freude und Sinne gar beraubt"(8) und fragte resigniert: "Wie schafft's ein Hahn nur mit zwölf Hennen?"(8)
Im Gegensatz zu anderen fahrenden Sängern aus seiner Zeit fehlen bei ihm Bettelstrophen in seinem Gesamtwerk. Das läßt darauf schließen, daß er wohlhabend war, vielleicht aus adligem Stand kam(9).
Reinmar von Zweter beim Diktieren
seiner Gedichte
Nach 1250 sind keine Texte mehr überliefert. Heimatforscher vermuten, daß er bis 1260 wahrscheinlich in Eßfeld auf einem Lehen lebte.
Paul Beusch(10) schreibt von einem kleinen Kloster, das zu Reinmars Zeit in Eßfeld bestanden haben soll und in dem sich der Dichter am Ende seines Lebens aufgehalten haben soll. Urkundliche Hinweise auf solch ein Kloster gibt es allerdings nicht.
Auf einem Bild in der Manessischen Handschrift, in der seine Texte überliefert sind, ist er mit geschlossenen Augen zu sehen, was darauf hinweist, daß er gegen Ende seines Lebens blind war.
Laut Überlieferung soll Reinmar in der Nähe der Nikolauskapelle begraben sein. Tatsächlich wurden bei Bauarbeiten wiederholt Menschenknochen gefunden, die auf einen früheren Friedhof schließen lassen.
Auch unter dem Fußboden der Kapelle wurden Skelettreste gefunden, leider aber nicht wissenschaftlich ausgewertet. Nach alten Erzählungen sollen auch Schmuckgegenstände und sogar eine Kapsel mit Pergamentblättern gefunden worden sein. Die Richtigkeit dieser Angaben ist leider nicht mehr zu überprüfen.
Es ist allerdings wahrscheinlicher, daß er nicht bei der Kapelle, sondern bei oder in der damaligen Pfarrkirche begraben wurde. Der Friedhof an der Pfarrkirche ist bereits vor 1100 erwähnt, außerdem ist um die Nikolauskapelle herum nur sehr wenig Platz im Kirchenbesitz (1,05 Ar), der als Friedhof gedient haben könnte. Zu Reinmars Zeiten waren die Dorfbewohner sicher bereits dazu übergegangen, ihre Toten im neuen Friedhof "in der Flur" zu begraben.
Rätselhaft ist die Behauptung von Pfarrer Georg Wehner aus Fahr, die er 1981 in einem Zeitungsartikel aufstellte. Demnach habe man beim Bau der jetzigen Pfarrkirche unter der alten Kirche die gemauerte Gruft des Dichters gefunden. Diese Geschichte konnte jedoch keiner der älteren Eßfelder bestätigen, außerdem hätte Pfarrer Amrhein in seiner Dorfchronik mit Sicherheit davon berichtet.
Heute erinnert an den relativ unbekannten Minnesänger der, von Pfarrer Deppisch aufgestellte, Gedenkstein sowie der "Von-Zweter-Weg" am Kindergarten.